Interpellation zu ME/CFS

Interpellation von Damian Müller zur «Informationslage zu ME/CFS und bessere Versorgung für Betroffene» - der Bundesrat hat geantwortet.

MÜLLER DAMIAN
FDP-Liberale Fraktion, FDP.Die Liberalen

 

Einreichungsdatum: 26.09.2022 / Eingereicht im: Ständerat

Eingereichter Text

In einer kürzlich veröffentlichten Studie der Charité Berlin (Mitautorin Prof. Dr. med. Carmen Scheibenbogen) wurde belegt, dass auch COVID-19 ein Auslöser von Myalgischer Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome (ME/CFS) ist. Was bereits vermutet wurde, ist nun also Gewissheit, und die Fälle von ME/CFS dürften in den nächsten Monaten und Jahren steigen.

Wie viele ME/CFS Patientinnen und Patienten es in der Schweiz zurzeit gibt, ist nicht bekannt. Schätzungen gehen von 24 000 Betroffenen in der Schweiz aus. Es gibt zurzeit weder validierte Tests zur Bestätigung oder Ausschluss von ME/CFS noch eine Therapie. Obwohl CFS seit 1969 eine ICD-Nummer hat und unter "Neurologischen Krankheiten" mit der Nummer G-93.3 erfasst ist, wird sie häufig nicht anerkannt und weitestgehend ignoriert.

  1. Wie schätzen der Bundesrat und das Bundesamt für Gesundheit die Situation von ME/CFS Betroffenen in der Schweiz ein?

  2. ME/CFS wird von der IV häufig nicht anerkannt, dies aufgrund von fehlender Information und fehlender Sensibilisierung der Ärzteschaft und Gutachter. Was gedenkt der Bundesrat zur Verbesserung der Stellung von ME/CFS Patientinnen und Patienten gegenüber der IV zu tun?

  3. Oft wird erst nach mehrjähriger diagnostischer und therapeutischer Odyssee die richtige Diagnose gestellt. Wie gedenkt der Bundesrat diesen Missstand in der Diagnostik und bei der Forschung von ME/CFS zu beheben?

  4. Von ME/CFS sind zahlreiche Menschen betroffen, beispielsweise mehr als von MS. Dennoch gibt es kaum Kompetenzzentren, und eine Aufklärung der Bevölkerung, Spitäler, Ärzteschaft und Apotheken findet nicht statt. Wie, bis wann und mit welchen Mitteln will der Bundesrat sicherstellen, dass die Betroffenen die nötige Unterstützung erhalten und die Fachpersonen richtig informiert werden?

  5. Verfügt der Bundesrat über Informationen, wie in der EU mit dem Thema ME/CFS umgegangen wird und wie viele Gelder für Forschung, Diagnostik, Therapie gesprochen werden? Wie sieht die rechtliche Situation der Betroffenen aus?

 

Stellungnahme des Bundesrates vom 9.11.2022

  1. Myalgische Enzephalomyelitis (ME; auch Chronic Fatigue Syndrome [CFS] genannt) ist eine schwere und komplexe Krankheit, die das Leben der erkrankten Personen oft stark einschränkt und für die Betroffenen sowie ihr soziales Umfeld äusserst belastend sein kann. Die betroffenen Personen und ihre Angehörigen benötigen eine adäquate und kontinuierliche Behandlung und Begleitung. Das Fehlen ursächlicher Therapien für ME/CFS stellt dabei eine besondere Herausforderung dar. Zur Diagnose und Behandlung von ME/CFS existieren verschiedene Empfehlungen und Leitlinien, wie der Bundesrat in seiner Antwort auf die Anfrage 18.1068 Birrer-Heimo "Myalgische Enzephalomyelitis. Wenn die "Grippe" einfach nicht weggeht" festgestellt hat. Das Erarbeiten dieser Leitlinien ist Aufgabe der medizinischen Fachorganisationen (siehe auch Antwort auf die Fragen 3 und 4). Für die Gesundheitsversorgung sind die Kantone zuständig.

  2. Damit die Invalidenversicherung (IV) Leistungsgesuche prüfen kann, müssen umfassende Informationen und genaue Diagnosen von Ärztinnen und Ärzten über die zu versichernde Person vorliegen. Je nach Gesuch kann die IV Spezialistinnen und Spezialisten bei der Begutachtung der Grundlagen beiziehen. Entsprechend müssen die Fachärztinnen und Fachärzte sowohl in der Behandlung wie auch in der Begutachtung im Rahmen ihrer Aus-, Fort- und Weiterbildung auf dem neusten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse sein. Zur Sicherstellung der notwendigen Qualität bei versicherungsmedizinischen Gutachten wurde per 1. Januar 2022 die "Eidgenössische Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung" eingesetzt. Durch entsprechende Empfehlungen und Massnahmen im Bereich der Weiterbildung der Spezialistinnen und Spezialisten ist davon auszugehen, dass sich die Situation der Betroffenen im Abklärungsverfahren der IV verbessern wird.

  3. Im Auftrag des Bundes fördert der Schweizerische Nationalfonds (SNF) Forschung in allen wissenschaftlichen Disziplinen, auch in der Medizin. Forschende haben über die Projektförderung des SNF - oder bei eher anwendungsorientierten Themen über die Innosuisse - die Möglichkeit, Mittel für die Durchführung wissenschaftlicher Projekte zu beantragen. Die Mittel werden nach dem Wettbewerbsprinzip vergeben.

  4. Die Auswertung der Forschung ist Aufgabe der medizinischen Fachorganisationen, wie der Bundesrat bereits in seiner Stellungnahme zum Postulat 20.3671 Müller Damian "Myalgische Enzephalomyelitis. Hilfe für Betroffene einer schweren chronischen und unheilbaren Krankheit" festgehalten hat. Die medizinischen Fachorganisationen sind auch dafür zuständig, Leitlinien zur Diagnostik und Therapie zu entwickeln sowie Weiter- und Fortbildungen für Fachpersonen anzubieten.

  5. Am 18. Juni 2020 nahm das Europäische Parlament einen Entschliessungsantrag zu zusätzlichen Finanzmitteln für die biomedizinische Forschung zur Krankheit ME/CFS an. Der Entschliessungsantrag, der auf eine Petition zurückgeht, fordert zudem eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im Bereich der Forschung sowie weitere Massnahmen, wie beispielsweise Aufklärungs- und Sensibilisierungskampagnen für Fachkräfte des Gesundheitswesens und die Öffentlichkeit. Der Antrag richtet sich mit seinen Forderungen sowohl an die Europäische Kommission als auch an die EU-Mitgliedsstaaten. In der Vergangenheit unterstützte die EU im Rahmen ihres mehrjährigen Forschungsprogramms verschiedene Forschungsprojekte auf dem Gebiet ME/CFS. Der genaue Umfang der Gelder, die in der EU im Bereich ME/CFS gesprochen werden, ist dem Bundesrat nicht bekannt. Die rechtliche Situation der Betroffenen ist je nach EU-Mitgliedsstaat unterschiedlich.

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